18. Januar 2018
Führung durch die Schweizerische Bibliothek
für Blinde, Seh- und Lesebehinderte SBS.
Bericht: Helen Giagonia; Bilder und Show: Urs Mäder
Das Wetter zeigte sich an diesem Donnerstag nicht von seiner besten Seite. Trotzdem fanden zehn Interessierte den Weg nach Zürich Binz, wo sich die SBS Schweizerische Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte befindet.
Herr René Moser, selber geburtsehbehindert, führt uns durch die Spezialbibliothek und mit einem Blick hinter die Kulissen der Buchproduktion in Hörbuchstudio und Druckerei lernen wir die Bibliothek hautnah kennen.
Die SBS wurde 1903 gegründet. Seither hat sich die Art, wie Blinde und Lesebehinderte lesen, stark gewandelt. Vor 100 Jahren wurde die Blindenschrift auf Papier geprägt und gelesen. Ab 1950 konnten Blinde und Sehbehinderte Hörbücher in Form von Tonbändern und später als Kassetten ausleihen. Es galt damals als grosse Errungenschaft, dass man Bücher „hören“ konnte. Die aktuelle Technik bietet interessante Möglichkeiten, wie die SBS-Bibliotheks-NutzerInnen bequem zum gewünschten Buch kommen. So können sie Blindenschrift-Bücher, Hörbücher und Grossdruckbücher auch als E-Book ausleihen. Die Lieferung kann je nach Medium auch übers Internet erfolgen. Smartphones und Tablets sind mit etwas Geschick inzwischen auch für Blinde und Sehbehinderte bedienbar. Wenn nicht online erfolgt die Ausleihe über den Postweg. Blindensendungen werden weltweit kostenlos befördert.
Produziert werden Hörbücher, Hörzeitschriften, aber auch Bücher, Texte, Zeitschriften und Musiknoten in Blindenschrift, Grossdruckbücher, Ebooks, Hörfilme (in Zusammenarbeit mit SF DRS), Lehrmittel, Studien- und Fachliteratur (v.a. eText).
Die Bibliothek leiht Hörbücher, Bücher und Musiknoten in Blindenschrift, Grossdruckbücher, Ebooks, Hörfilme und Spiele aus. Auch Zeitschriften-Abos (z.B. Geo, Beobachter, eidg. Volksabstimmung) sind im Angebot. 2016 wurden über 140'000 Titel ausgeliehen. Im ausleihbaren Bestand sind über 60'000 Titel.
Die Schweizerische Bibliothek zählt 75 Festangestellte sowie rund 100 ausgebildete SprecherInnen aus TV, Radio und Theater.
Die Finanzierung des gesamten Betriebes von 11 Mio pro Jahr übernehmen mit rund 53 % der Bund, die Kantone und Gemeinden. 42 % werden durch Spenden, Bücherpatenschaften, Stiftungen und Legate finanziert. Die restlichen 5 % werden über öffentliche Aufträge und andere Dienstleistungen erwirtschaftet.
In der Leihbibliothek stehen auf beinahe 1000 Laufmetern Blindenschriftbücher und Musiknoten in Blindenschrift in Rollgestellen. Das Ausleihsortiment umfasst auch Bücher in Grossdruck und speziell adaptierte Spiele wie: Schach, Jasskarten, Gehörmemory und mehr.
In der SBS-Druckerei erfahren wir, dass mit einem Braille- oder Punktschriftdrucker Texte, Tabellen oder Graphiken in Blindenschrift auf Papier gedruckt werden können, mit einer Blindenschriftschreibmaschine wird direkt auf das Papier geschrieben. Spannend sind auch die ganz speziellen Papiere. Mit einem Bleistift schreibt oder zeichnet man darauf. Anschliessend wird das Papier mit sehr hellem und heissem Licht bestrahlt. Nach kurzer Zeit erhebt es sich überall dort, wo es beschrieben wurde. So lassen sich in der Geometrie Formen und in der Geographie kartographische Informationen wie Grenzen, Gewässer oder Städte tastbar abbilden. Nebst Belletristik, Schul- und Fachbüchern werden auch Kreuzwort-Rätsel, Sudokus mit Blindenschrift-Zahlen zum Einkleben, Kochbücher und Musiknoten produziert.
Louis Braille erfand 1825 als 16-jähriger blinder Schüler die Brailleschrift. In seiner Punktschrift lassen sich Buchstaben nur aus sechs Punkten, drei in der Höhe und zwei in der Breite darstellen. Die Blindenschrift, die in Papier geprägte Schrift, die von Blinden mit den Fingerspitzen gelesen werden kann.
Im Hörstudio arbeiten 90 Sprecherinnen und Sprecher. Sie lesen Bücher, Zeitschriften, Abstimmungsunterlagen und vieles mehr. Es sind z.T. bekannte Stimmen aus dem Fernsehen, Radio und Theater. Sie sitzen regelmässig in einer der neun Aufnahmekabinen und sprechen jeweils 30-40 Seiten pro halben Tag. Dabei werden die Aufnahmen „prima vista“ gesprochen, das heisst ohne vorheriges Lesen des Textes. Jedes Werk bekommt seinen eigenen Charakter durch die Wahl der Sprecherin oder des Sprechers. Je nach Werk wird eine Frau oder ein Mann ausgewählt, jung oder alt, mit tiefer oder heller Stimme, mit Berner Mundart oder astreinem Bühnendeutsch.
Vieles war uns als Sehende nicht bewusst. Den Blinden und Sehbehinderten stehen spezielle Hilfsmittel zur Verfügung und viele sind heute geübte Nutzer von Computern. Herr René Moser verstand es ausgezeichnet, unser Interesse für „seine“ Bibliothek zu wecken und wir möchten ihm für die sehr interessante Führung herzlich danken.
Bildershow